Wörterkunst

Ich lese zum wohl hundertsten Mal Cornelia Funkes Tintenwelt Trilogie. Manche Bücher werden einfach immer besser, je häufiger man sie liest. So, als ob jede Emotion, die du beim Lesen fühlst – das Staunen, die Freude, die Traurigkeit, der Zauber – in den Seiten kleben bleibt, platt gepresst und erhalten wie Herbstblätter in einem Katalog. Und wenn wir die Seiten nach Monaten oder Jahren wieder aufschlagen, hatten sie Zeit zu gären. Sie fallen uns entgegen, stärker den je, alte Freunde, die wir mit Begeisterung empfangen – und geben den Seiten neue, wundervolle Gaben, die sie bis zum nächsten Mal hüten. 

Cornelia Funke ist eine Meisterin ihres Werkes. Sie schreibt nicht nur mit ihren Worten, sondern sie singt und malt und schöpft Poesie. Es dauert so viel länger als früher, bis ich es schaffe, ihre Bücher zu Ende zu lesen, denn ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich zurückgehe. Ich zeichne die Worte mit meinem Finger nach, wundervolle, malerische Worte, und versuche herauszufinden, was genau sie in Musik verwandelt. 

Ich habe früher gedacht, dass das erste Buch der Reihe nicht an die anderen zwei herankommt. Genau wie der Hauptcharakter Meggie war ich ungeduldig darauf, in die fiktive Tintenwelt abzutauchen. Wen kümmert schon die richtige Welt, wenn eine aus Papier und Druckertinte geschaffene auf dich wartet? Eine bewohnt von Feen und Kobolden und Fürsten und Magie? 

Nun weiß ich, dass ich falsch lag. Die Magie des ersten Buches mag nicht vom Schauort stammen, aber sie ist dort. Sie klebt auf den Seiten wie gepresste Sommerblüten, ist eingeflochten zwischen den Sätzen in einem anmutigen Muster, dort, überall, in jeder alltäglichen Handlung der Charaktere. 

Jeder kann Magie auf die Seiten klatschen, wenn er eine ganze Welt dazu erschafft. Cornelia Funke schafft es, sie in die Alltäglichkeit zu weben.

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